Snovid 2021 / Icepocalypse

Ja, das war schon ein großes Abenteuer. Jetzt im Rückblick ist es ja lustig, und ich kann dir davon erzählen. Begonnen hat es am Mittwoch. Ich war bei einem der seltenen Mittagessen mit Freundinnen. Dank Corona kommen soziale Begegnungen, noch dazu solche in Restaurants, nur alle paar Monate vor. Als wir daheim ankamen, waren am Auto des Nachbarn schon Eiszapfen, obwohl ich es als nicht so kalt empfunden habe. Und es regnete in Strömen. Ich fuhr noch schnell zum H-E-B, um ein paar Lebensmittel zu holen, damit wir für die nächsten fünf, sechs Tage nicht mehr einkaufen gehen mussten. Die Temperatur fiel über Nacht ab, und unter dem gefrorenen Regen bogen sich alle Pflanzen. Das war gemütlich. Zu Hause im Warmen sitzen, Tee trinken und das glitzernde Spektakel vor dem Fenster von drinnen anschauen. Und ein wenig spazieren gehen.

Sonntag morgen wachten wir zu einem Winter-Wonderland auf. Überall lag Schnee. Das ist im Prinzip ja super, aber nicht in Texas, wo es weder einen Straßenräumdienst noch Winterreifen gibt. Nach den Eisrutschbahnen gab es nun Schneefahrbahn. Und dann kamen die Stromausfälle. Damit wurde es drinnen ungemütlich, denn ohne Strom keine Heizung. Auf einmal war ich dankbar für unseren Gaskamin, über dessen Charme eines Bunsenbrenners ich bisher eher weniger begeistert war. Kochen ging dank Gas auf dem Herd. Die Wasserleitungen mussten ab sofort permanent tropfen, damit sie nicht einfroren. Aber auch wenn man sie voll aufdrehte, kam nicht viel mehr als ein Rinnsal heraus.

So kuschelten wir uns zusammen im kalten Finsteren, unter dicken Decken vor dem Kamin. Ich las meiner Familie vom e-book-reader Agatha Christie vor, was sie innerhalb von zehn Minuten alle zum Schlafen brachte. Dazwischen kam immer wieder Strom, was kurzzeitig das Haus erwärmte und uns Licht und eine biepende Alarmanlage verschaffte. Die Kinder hielten es für ein großes Abenteuer, ich fing an, mir Sorgen zu machen. Aus der Siedlung ein- und ausfahren ging immer noch nicht. Mittlerweile war es Mittwoch und wir seit drei Tagen ohne durchgehenden Strom und mit nicht allzuviel Wasser. Da kommt man erst drauf, wie sehr man es braucht. Aus den Nachrichten erfuhr man, dass es anderen Leute viel schlimmer ging. Es ist ja das gesamte Versorgungsnetz zusammengebrochen. Kraftwerke sind eingefroren, das Wasseraufbereitungswerk war lahmgelegt, Fische sind in ihren Aquarien erfroren, Eltern haben die Jenga-Holzblöcke ihrer Kinder verheizt, tödliche Auffahrunfälle, oder die harmlose Variante davon, verlassene Autos in Straßengräben.

Am Mittwoch kam gar kein Wasser mehr aus den Leitungen, denn die Stadt hatte nicht genug, um alle zu versorgen. Dafür ging das mit dem Strom wieder so halbwegs. Die Republikaner gaben im Fernsehen zum Besten, dass der”bekanntlich hohe Anteil an Grünstrom” an den Stromausfällen schuld war. Dass die Kohlekraftwerke auch nicht funktionierten, ließen sie geflissentlich aus. Der Katastrophendienst steckte in Dallas/Fort Worth fest und konnte nicht in den Süden kommen, der Senator von Texas flog mal kurz nach Mexiko, Tiefkühl-Ketten in den Supermärkten waren drei Tage ohne Strom, Wasser kam auch keines, kleinere Straßen waren nach wie schwer passierbar, aber nachdem auch die Tankstellen und Lebensmittelgeschäfte nicht beliefert werden konnten, war das eh egal.

Doch was funktionierte, war die Nachbarschaftshilfe. Via Facebook wurden Schlafunterkünfte in Häusern, die Strom hatten, bereitwillig an Familien mit Kleinkindern, 2-Kilo-Chihuahuas oder Fischen vermittelt. Die besten Möglichkeiten, um Schnee für die Klospülung zu ernten, wurden geteilt. Ein Lokalpolitiker trieb irgendwo mehrere Tausend Liter Trinkwasser auf, der von einem nachbarschaftlichen Konvoi aus 4×4 trucks abgeholt wurde. Immer noch hatte es seit fast einer Woche durchgängig unter Null Grad. Zähneputzen, Duschen, zwischendurch schnell einen Löffel abspülen, am WC runterlassen, alles Luxusdinge, die derzeit nicht normal gingen. Dafür lernte ich, Schnee so sauber und rein zu bekommen, dass ich damit Geschirr abwaschen konnte. Ich lernte, dass man Brot auch herrlich im Pasta-Topf dämpfen kann und damit das wunderbarste Tramezzini-Brot ohne Kruste erhält. Dass, auch wenn die Regierung vielleicht keinen Tau hat, Menschen im Grunde genommen wunderbare und soziale Wesen sind, zumindest in meiner Nachbarschaft. Dass man nicht jeden Tag duschen muss, sondern dass auch ein Waschlappenbad gute Dienste tut. Dass man besser immer viel Trinkwasser und ein paar Solar-Gläser im Haus hat. Und vor allem, dass man immer noch denen helfen sollte, denen es schlechter geht als einem selbst.

Ab Samstag taute der Schnee weg, doch die Läden waren immer noch leer, und die Wasserleitungen ebenso. Am Sonntag fuhren wir zu Freunden in den nächsten Ort, um seit mehr als einer Woche wieder mal zu duschen und Haare zu waschen. Und am Montag ging ich bereits wieder arbeiten. Wasser kam ganz normal aus der Leitung und draußen zwitscherten die Vögelchen bei lauschigen 12 Grad. Ein paar Nachbarn hatten mit geplatzten Leitungen und dem ganzen damit verbundenen Chaos zu kämpfen, doch zum Glück nicht wir. Für uns war der ganze Spuk vorbei. Schneechaos? Wovon sprichst du?

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